HASAN HAT SCHON IN DER SCHULE ZU DEN SENKRECHTSTARTERN GEFUNDEN UND IST SEITDEM AN VERSCHIEDENEN STELLEN DES PROGRAMMS AKTIV, GERADE ORGANISIERT ER ONLINE-SEMINARE FÜR PATEN. ER IST KAS-STIPENDIAT UND HAT GERADE SEINEN MASTER AN DER TU MÜNCHEN BEENDET.
Hier erzählt er im Gespräch mit Pia Steckelbach von seinem Weg, der alles andere als vorgezeichnet war.
„Ich wusste in der Schule lange nicht, was ich einmal machen wollte. Schon das Abi schien mir wie ein Doktortitel. Ich kannte kaum jemanden, der eine Uni besucht hat. Dann habe ich das Senkrechtstarter-Programm kennengelernt.
Senkrechtstarter hilft, die richtigen Fragen zu stellen
Mathe lag mir, ich mochte Zahlen. Das war wohl auch meiner Wirtschaftslehrerin aufgefallen: Sie wies mich auf die Senkrechtstarter hin. Ich habe eine Email geschrieben und war kurze Zeit später in Kontakt mit zwei Paten: einem BWL-Studenten und einer Medienwirtschaftlerin. Die beiden haben mir erst einmal ein paar grundlegende Dinge erklärt, wie zum Beispiel den Unterschied zwischen BWL und VWL und worauf ich bei der Wahl meines Studienortes achten sollte. Mit ihnen habe auch die Bewerbung für die Uni besprochen und mich auf ein Stipendium beworben. Dabei wusste ich zunächst gar nicht, was ein Stipendium ist und dass man keinen perfekten Abischnitt braucht, um eins zu bekommen. Mein Problem war damals nicht, dass ich falsche Antworten hatte, sondern das ich nicht wusste, welche Fragen ich überhaupt stellen sollte. Meine Paten haben mir dann auch den Campus der Uni Stuttgart gezeigt, daran kann ich mich noch gut erinnern: Die Gebäude sahen aus wie meine eigene Schule, nur etwas größer. Plötzlich hat sich ein Studium machbar angefühlt, es war nicht mehr so weit weg.
Wenige Erstakademiker wagen Master
Ursprünglich komme ich aus Sindelfingen, der Stadt von Mercedes Benz. Mein Vater ist als Gastarbeiter aus der Türkei gekommen, hat später meine Mutter nachgeholt. Meine Eltern wissen, wie es ist, Geld mit den eigenen Händen zu verdienen. Sie wollten immer, dass es meinen beiden älteren Geschwistern und mir nicht so geht. Wir sollten einmal mit unseren Köpfen, nicht mit den Muskeln arbeiten.
Ich bin einem bildungsfernen Elternhaus aufgewachsen und habe einen Migrationshintergrund. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand wie ich einen Masterstudiengang abschließt, ist Statistiken zufolge eher gering. Dass ich es doch geschafft habe, kann ich zu großen Teilen den Senkrechtstartern verdanken. Ohne die Hilfe am Anfang wäre ich schon bei der Wahl des Studiums überfordert gewesen. Ich habe letztendlich VWL an der Uni Tübingen studiert und einen Master in Management Technologie an der TU München gemacht. Das ist ein Mischstudiengang, in dem ich mich hauptsächlich mit Finance und im Nebenfach mit Chemie beschäftigte. Für mich war klar, dass ich mich während meines Studiums auch als Pate bei den Senkrechtstartern engagieren würde. Ich wollte der Community von der anderen Seite etwas zurückgeben.
Viele haben ein falsches Bild vom Studium
Ich habe mit den Senkrechtstartern viele Schulen besucht, um das Programm vorzustellen. Mir ist bei den Besuchen aufgefallen, dass wir sehr vielen Schülerinnen und Schülern erst einmal Mut zusprechen müssen. Viele, die nicht aus einem akademischen Elternhaus kommen, trauen sich ein Studium nämlich gar nicht zu. Diese Schülerinnen und Schüler haben häufig Angst, dass Uni mit zu viel Aufwand verbunden ist. Ich mache ihnen klar, dass es zeittechnisch und auch finanziell gar keine so großen Unterschiede zu einer Ausbildung gibt, die viele als deutlich einfacher und sicherer einschätzen. Eine Ausbildung beansprucht acht Stunden Zeit an fünf Tagen der Woche. Wer so viel in ein Studium investierst, kommt mit einer 1,0 raus! – Okay, das ist vielleicht etwas übertrieben, aber ich finde, dass eine Ausbildung nicht immer die weniger aufwändigere Alternative zum Studium ist. Viele Schüler sagen auch: ‚Hey, meine Eltern können mich nicht finanzieren, wie soll ich das hinbekommen?‘ Aber in Deutschland gibt es zum Glück extrem viele Programme und Förderungen. (Hier findet Du ein paar Beispiele) Wenn man seine Finanzen im Blick behält und sich Unterstützung holt, sollte es für jeden möglich sein.
Mein Migrationshintergrund ist eine Stärke
Ich bin mittlerweile 25 Jahre alt und als ich auf das Gymnasium gekommen bin, gab es dort kaum Kinder mit türkischem Migrationshintergrund. Ich hatte keine Vorbilder, mit denen ich mich identifizieren oder über Uni austauschen konnte. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass man einen Doktor auch in einem Gebiet wie Wirtschaftswissenschaften machen kann. Dafür habe ich in meinem eigenen Umfeld verschiedene Geschichten zum Thema Bildung kennengelernt. Zum Beispiel meine Geschwister: beide haben erst die Hauptschule besucht, anschließend die Realschule und erst dann das Gymnasium. Beide haben heute einen Uniabschluss.
Als Senkrechtstarter mit Migrationshintergrund kann ich anders auf Schülerinnen und Schüler zugehen, die ebenfalls eine Zuwanderungsgeschichte haben. Viele Leute wie ich haben zwei Identitäten: Obwohl man im familiären Umfeld keinen großen Bezug zu Bildung hatte, ist man plötzlich unter Menschen, die ein Studium mit Masterabschluss erwarten. Der Spagat besteht darin, sich in diesen beiden Welten bewegen zu können, ohne eine von ihnen auszuschließen. Diese Stärke schreibt man nicht in den Lebenslauf, aber sie hilft auch im Arbeitsleben ungemein weiter. Man entwickelt so die Fähigkeit, sich mit den verschiedensten Leuten an ein Projekt zu setzen.
Vom Senkrechtstarter-Programm profitieren nicht nur die Schülerinnen und Schüler. Als Pate nehme ich für mich persönlich sehr viel von dem Austausch mit. Das hilft mir mittlerweile auch, wenn ich auf der Arbeit selbst Bewerbungsgespräche führen muss. Ich bekomme schnell einen Zugang zu den unterschiedlichsten Menschen.
Hätte mir jemand in der 10.Klasse gesagt, das ich mal einen Master machen werde, hätte ich gesagt: Erzähl mir nichts! Mein Masterabschluss ist für mich ein kleiner Quantensprung. Ich denke aber nicht, dass ich etwas Unmögliches geschafft habe. Ich habe probiert, das Beste aus meiner Situation zu machen und ich hatte Glück, dass ich auf das Senkrechtstarter-Programm gestoßen bin. Senkrechtstarter war für mich der kleine Schmetterlingsschlag, der eine riesen Auswirkung hatte. Ich wünsche mir, dass es noch vielen anderen Schülerinnen und Schülern genau so geht!“